Donnerstag, 3. April 2014

Den Blickwinkel verändern

“Ich sehe, was du nicht siehst, und das ist ...” spielten wir als Kinder. Der “Sehende” beschrieb den Gegenstand mit einem Wort und die übrigen Spieler – die “Nichtsehenden” mussten diesen Gegenstand suchen. So wurde die ganze Umgebung nach diesem Wort (z.B. rund oder gelb) abgesucht. Wer den Gegenstand gefunden hatte, war der Gewinner und damit der nächste “Sehende” der die “Nichtsehenden” auf ein weiteres Objekt aufmerksam machen durfte.

Im Alltag erlebe ich immer wieder, dass ich eine Nichtsehende bin. Ich sehe das ganze Bild, den ganzen Tag, die ganze Arbeit, die ganze Verantwortung oder die ganze Last einer Sorge. Obwohl ich sehe, sehe ich die Details nicht. Ein sehenedes Nichtsehen. Die Einzelheiten sind ausgeblendet. Wie bei einem etwas verwilderten Garten. Das ganze Bild sieht unordentlich aus, der Garten ist ungepflegt und riecht nach Arbeit und Muskelkraft.


Heute Morgen, als mein Mann und meine Tochter das Haus verliessen, winkten sie mir fröhlich zu und im selben Moment stand der kleine Hund neben mir. Mit ihrem kleinen, zerbissenen Ball im Maul und bettelte mit ihren Augen, dass ich mit ihr spielte. Ich warf den Ball weg und sie lief begeistert hinter her. Ein Moment vollkommener Freude und Liebe erfüllte mich. Plötzlich sah ich. Ich sah für einen Moment die Liebe, die das Leben für mich bereithält. An den meisten Morgen sehe ich die Arbeit und die Verpflichtungen, die auf mich warten. Ich sehe den langen, manchmal anstrengenden Tag und die vielen Aufgaben, die zu erfüllen sind. Wie das Bild von dem etwas verwahrloste Garten. Heute sah ich die Liebe.


Wenn ich in die Knie gehe und mir den Garten genauer anschaue (ganz im Sinne des Spiels “Ich sehe, was du nicht siehst...”) bemerke ich die Schönheit der Natur. Blumen in allen Größen, Formen und Farben. Winzige Ameisen, die emsig arbeiten. Laub und wunderschöne Knospen.

Um diese Schönheit zu sehen, muss ich in die Knie gehen. Ich muss meine aufrechte Position beugen. Mich bücken und genau hinschauen.

An Tagen, an denen ich vor Gott in die Knie gehe, sehe ich besser. Wenn ich meine aufrechte Position verlasse und mich vor ihm, dem allmächtigen Gott, beuge, bemerke ich die Schönheit in meinem Alltag. Ich sehe die Liebe, die er für mich bereithält. Auch wenn es nur das Abschiedswinken meiner Familie oder das freundliche Schwanzwedeln eines kleinen Hundes ist, der mit mir spielen möchte. Ich erlebe die Freude des Lebens bewusster und tiefer. Mir wird klar, wie groß die Gnade Gottes ist, wenn ich wieder mal versagt habe und trotzdem eine neue Chance bekomme.


Gebeugte Knie geben mir eine bessere Sicht auf die Einzelheiten in meinem Alltag und in meinem Leben.

Ich sehe, was siehst du heute?

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