Ich gebe auf! Endlich habe ich diesen Punkt erreicht. Ich
gebe auf. Fertig. Ein etwas ungewohntes und doch befreiendes Gefühl steigt in
mir hoch. Ich werde mich nicht mehr bemühen. Nicht mehr kämpfen. Nicht mehr
meine ganze emotionale Energie in etwas stecken, dass doch nicht funktioniert.
Ich gebe auf.
Was gebe ich auf? Ich gebe es auf, Menschen verändern zu
wollen. Durch das Lesen der Bibel und verschiedene hilfreiche Artikel habe ich gelernt, dass ich aufgeben
darf. Ich gebe nicht den Menschen auf. Ich gebe es auf, diese Menschen
verändern zu wollen. Ich gebe mein Verhalten auf.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich
mich durch mein Verhalten nur selber schade und am Ende keinem helfe. Wenn der
Nächste so sein will, wie er oder sie ist, dann ist es nicht meine Aufgabe, sie
zu verändern. Wenn jemand ständig das letzte Wort haben will, dann brauche ich
diese Person nicht verändern. Dann lass ich sie halt das letzte Wort haben. Wenn
jemand immer und überall das Erste und das Beste sein will, dann darf ich ein
Schritt zurücktreten und diese Person das Erste und das Beste sein lassen. Wenn
jemand zuviel arbeitet und meine gutgemeinten Ratschläge nicht annimmt, dann
schweige ich und lasse sie arbeiten. Wenn jemand nicht zuhören kann und nur
wartet, bis der Satz zuende ist und dann von sich spricht – dann lass ich sie.
Wenn jemand nicht bereit ist, sein geistliches Leben zu vertiefen, dann lass
ich diese Person da stehen, wo sie steht.
Wie oft habe ich versucht, eine Person zu verändern. Ich
wollte nur ihr Bestes. Ich hoffte, sie könnte eine bessere Ehe führen,
geistlich tiefer wachsen, besser zuhören, sich selbst mehr zurücknehmen
(sprich: weniger egoistisch sein), weisere Entscheidungen treffen, das Leben
besser meistern usw. Doch meistens wollte ich es mehr als die Person es wollte.
Sie hatte mich auch nicht gefragt. Ich hatte eine Notwendigkeit gesehen und
wollte helfen. Doch die Person sah diese Notwendigkeit nicht. Sie wollte so
bleiben wie sie war. Sie war zufrieden mit ihrem Leben. Ich war das Problem und
nicht die andere Person. Ich wollte sie verändern und sie wollte sich nicht
verändern.
Jetzt, wo ich aufgegeben habe (nicht die Person, sondern
mein Verhalten), merke ich, wieviel emotionale Energie es mir gekostet hat. Es
ist anstrengend, etwas zu verändern, dass sich nicht verändern will oder
vielleicht auch nicht kann. Es kostet Kraft, um etwas zu kämpfen, dass gar
nicht existiert. Und wenn ich zurückschaue, fühle ich mich wie Don Quijote in
seinem Kampf gegen die Windmühlen (er dachte es waren 30 Krieger).
Aufgeben bedeutet für mich, die Person so anzunehmen wie sie
ist. Egal wie sie ist. In keiner Weise versuche ich sie zu verändern. Auch wenn
eine Veränderung in ihrem Verhalten dringend notwendig wäre. Ich kann sie
darauf hinweisen und ihr meine Hilfe anbieten, doch da hört meine Verantwortung
auf. Ob sie diese Hilfe von mir annimmt oder nicht, entscheidet sie. Und auch
dann, wenn ich ihr helfe, entscheidet sie jedesmal wie weit sie diese Hilfe in
Anspruch annimmt. Manchmal wird meine Hilfe genau das sein, was diese Person
braucht. Nächstes Mal wird es jemand anderer sein, der helfen kann. Und
manchmal will diese Person auch nicht geholfen werden und sie wird alles und
jeden abweisen.
Ich darf mein Verhalten, mehr zu helfen als gewünscht wird,
aufgeben und diese Person so annehmen wie sie ist. Durch das Aufgeben und Annehmen geschieht etwas interesantes.
Nämlich eine Veränderung. In mir und im Nächsten. Die Veränderung, die ich mir
so gewünscht habe, geschieht nur, wenn ich aufhöre den Anderen zu verändern.
Dabei geschieht diese Veränderung oft nicht mal bei dieser Person, sondern in
mir. Ich nehme die positiven Seiten dieser Person wahr. Ich entdecke
Eigenschaften, die ich bis dann noch nicht gesehen hatte und fange sie an zu
schätzen. Bis dann sah ich nur das, was verändert werden sollte und hatte kein
Auge für das, was da war. Für das Gute an dieser Person.
Nicht immer ist diese Veränderung positiv. Manchmal
endet die Beziehung auch. Die andere Person hatte sich so an meine
Veränderungsversuche gewöhnt und vielleicht auf davon abhängig gemacht, dass
sie mit meinem neuen Verhalten nicht fertig wird. Sie will nicht, dass ich mein
Verhalten, sie zu verändern, aufgebe. Sie braucht mich, um sich nicht verändern
zu brauchen. Wenn ich mein Verhalten aufgebe, muss sie eigene Entscheidungen
treffen und das möchte sie nicht.
Mein Verhalten aufgeben, verändern zu wollen. Annehmen statt
verbessern. Hilfe anbieten und dann zurücktreten. Entscheidungen selber treffen
lassen. Das Beste wollen ohne es zu fordern. Das ist viel schwerer, als
jemanden versuchen zu verändern. Doch es kostet weniger emotionale Energie. Es
macht frei. Es macht gelassen und zufrieden. Es kostet weniger Worte, weniger
Gedanken und weniger Kampf. Ich nehme an, was da ist. Mehr nicht. Ich nehme die
Person vor mir so an wie sie ist. Das Annehmen kostet nichts. Es befreit sogar.
Es öffnet mir die Augen und ich kann tiefer sehen als nur das. was das
sichtbare Auge an dieser Person wahrnimmt.
Aufgeben und Annehmen. Diese Entscheidung trifft jede Person
jeden Tag selber. Ich kann sie nur für mich selber treffen. Und heute entscheide ich mich für das Aufgeben und Annehmen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen