Es kann ein Wort sein oder ein Satz. Manchmal ein Abschnitt oder ein Artikel. Ich lese ihn, höre ihn oder erinnere mich daran. Zuerst hat er keine Wirkung. Ein normaler Satz. Nichts bewegendes. Und plötzliches explodiere ich in meiner Gedankenwelt. Eine Lawine von Gedanken, die alles mitreisst. Ich werde wütend über solche Achtlosigkeit von Worten. Ich kann nicht still sein. Ich will auch nicht still sein. Ich will die Achtlosigkeit auslöschen. Und muss aufpassen, dass meine Gedankenlawine nicht dieselbe Wirkung hat: Achtlosigkeit der Person gegenüber, die die Worte ausgesprochen hat.
Heute war es ein Artikel über "Ziele setzen", der meine Gedankenwelt in eine Lawine verwandelte. Auf dem ersten Blick ein netter Artikel. Gut und übersichtlich formuliert. Wie man Ziele setzt. Wie man sie erreicht. Wie man seinen Tag einteilt. Etwas langweilig, um ehrlich zu sein. Ich überflog ihn schnell und legte die Zeitung zur Seite. Dachte nicht weiter darüber nach. Doch dann kam die Explosion. Einzelne Sätze waren sitzengeblieben und entwickelten sich weiter. Fast unbemerkt.
Da war der Satz über Zeiteinteilung. Den Tag nach dem 888 Prinzip einteilen. 8 Stunden (bezahlte) Arbeit, 8 Stunden Entspannung, 8 Stunden Schlaf. Toll, nicht wahr? Gibt genau 24 und soviele Stunden hat ein Tag.
Die letzten Wochen waren für uns als Familie alles andere als leicht. Mein Mann war viele Stunden im Geschäft. Ich war viel alleine mit den Kindern. Managte den Haushalt, versuchte soviel wie möglich meinem Mann im Geschäft zu helfen und in der Gemeinde gab es auch genug Arbeit. Acht Stunden Schlaf war Luxus. Acht Stunden Entspannung eine Utopie (Duden definiert es als: undurchführbar erscheinender Plan; Idee ohne reale Grundlage). Acht Stunden bezahlte Arbeit - tja, das soll es geben. Es waren volle, anstrengende und doch ganz besondere Wochen. Wir waren uns der Herausforderung bewusst und haben als Familie diese Tage gemeinsam durchlebt. Gelacht, geklagt, gefreut und geärgert. Meistens übermüde und doch zusammengeschweisst zu einem untrennbaren Team. Hätten wir dieses 888 Prinzip angewandt, hätten wir mehr Schlaf und Entspannung gehabt und wahrscheinlich weniger Einheit und Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Dezembertage wären ohne Höhen und Tiefen vorbei geglitten. Ohne bemerkenswerte Zwischenfälle. Jetzt nutzten wir jede Minute aus, um als Familie etwas zu unternehmen - den acht Stunden Entspannung standen uns nicht zur Verfügung. Lasen Weihnachtsgeschichten vor, während das Essen auf dem Herd kochte. Übten uns in Gelassenheit, wenn es hektisch wurde. Und hatten oft Gäste im Haus - die das 888 Prinzip noch mehr auf den Kopf stellten.
Das 888 Prinzip ist eine nette Idee, die auch jede Mutter mit ein oder zwei kleine Kinder in Rage bringen kann. Auch da sind acht Stunden Schlaf kaum möglich. Vielleicht verteilt über zwei Tage. Acht Stunden Entspannung mit einem Baby und einem Zweijährigen, der gerade klettern gelernt hat? Acht Stunden Arbeit im Haushalt mit einer Familie ist auch eine Utopie. Also, auch nicht anwendbar für Mütter.
Vielleicht ist das 888 Prinzip anwendbar für Geschäftsleute? Acht Stunden um ein Unternehmen zu führen? Etwas wenig in meinen Augen. Wie soll etwas entstehen und wachsen, wenn ich darauf bedacht bin, dass ich noch genug Entspannung und Schlaf bekomme?
Das Prinzip ist an sich nicht so negativ, wie ich es gerade präsentiert habe. Es geht ja um eine ausgeglichene Zeiteinteilung. Und Ausgeglichenheit ist ein wünschenswerter Zustand. Es wirkt nur etwas tyranisch, wenn wir es anwenden wollen. Das Leben bietet wenig Ausgeglichenheit, wenn wir es voll auskosten wollen. Wenn unser Ziel die Ausgeglichenheit ist, werden wir und unser Leben langweilig. Wir sind so bedacht darauf, dass wir ausgeglichen leben, dass wir am Leben vorbei leben. Wir achten so sehr darauf, dass wir acht Stunden Schlaf bekommen, dass wir uns nicht mehr erlauben müde zu werden. "Wenn ich müde bin, bin ich zu launisch", heisst es dann. Also, nicht müde werden. Nicht launisch sein trotz Müdigkeit - die Option gibt es für viele leider nicht.
In den letzten Wochen las ich das Lukasevangelium und nahm dabei das Leben Jesu unter die Lupe. Bei ihm gab es kein 888 Prinzip. Eher Gebet, Arbeit, Gebet, Arbeit. Am frühen Morgen und am Abend zog er sich zum Beten zurück. Er betete ganze Nächte durch und am Morgen war er wieder von Tausenden von Menschen umringt. Entspannung? Er war auf einer Hochzeit, wo er Wasser in Wein verwandelte. Und als er sich einmal ausruhte, kamen Kinder zu ihm und er hatte Zeit für sie.
Seine Ausgeglichenheit fand er nicht in einer perfekten Zeiteinteilung, sondern in seiner Zeit mit seinem Vater. Die Zeit alleine mit Gott gab ihm die Kraft, die er brauchte. Er betete eine ganze Nacht, bevor er zwöft Männer aufforderte, seine Jünger zu werden.
Ich frage mich, wie viel ausgeglichener wir sein würden, wenn wir mehr Zeit mit beten verbringen würden. Vor jedem Arbeitsanfang - beten. Vor jeder Begegnung - beten. Vor dem Schlafengehen (statt Fernseh schauen oder im Internet surfen) - beten.
Meine Erfahrung mit dem Beten ist, dass sich meine Prioritäten fast von selber ordnen, wenn ich regelmässig bete. Auch beim Schreiben von diesem Blog. Statt wütend meine Gedanken in die Welt zu schreiben, werde ich ruhiger und denke nach. Statt launisch zu werden, wenn ich müde bin, kann ich ruhig und freundlich bleiben.
Statt 888 Prinzip BBB Prinzip (beten, beten, beten). Ich wünsche uns ein betendes Jahr. Verlieren werden wir nichts, wenn wir es ausprobieren. Nur gewinnen. Beten wir.
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