"Der Sinn der Vergebung liegt darin, dass wir Gott gegenüber dankbarer, anderen gegenüber barmherziger und uns selbst gegenüber wahrhaftiger werden", sagt Hans-Joachim Eckstein, ein evangelischer Theologe. Vergebung soll uns dankbarer, barmherziger und wahrhaftiger machen.
Die Geschichte in Matthäus 18, 21-35 zeigt, das Vergebung manchmal auch genau das Gegenteil bewirken kann.
“Dann kam Petrus zu ihm und fragte: »Herr, wie oft soll ich jemandem vergeben, der mir Unrecht tut? Sieben Mal?« »Nein!«, antwortete Jesus, »siebzig mal sieben Mal! Deshalb kann man das Himmelreich mit einem König vergleichen, der beschlossen hatte, mit seinen Bediensteten, die von ihm Geld geliehen hatten, abzurechnen. Unter ihnen war auch einer, der ihm sehr viel Geld schuldete. Da er nicht bezahlen konnte, befahl der König das Folgende: Er, seine Frau, seine Kinder, und alles, was er besaß, sollte verkauft werden, um damit seine Schuld zu begleichen. Doch der Mann fiel vor ihm nieder und bat ihn: `Herr, hab doch Geduld mit mir, ich werde auch alles bezahlen.´ Da hatte der König Mitleid mit ihm, ließ ihn frei und erließ ihm seine Schulden. Doch sobald der Mann frei war, ging er zu einem anderen Diener, der ihm eine kleine Summe schuldete, packte ihn am Kragen und verlangte, dass er auf der Stelle alles bezahlen sollte. Der Diener fiel vor ihm nieder und bat ihn um einen kurzen Aufschub: `Hab doch Geduld mit mir, ich werde auch alles bezahlen.´ Doch der Mann war nicht bereit zu warten. Er ließ ihn verhaften und einsperren, so lange, bis dieser seine ganze Schuld bezahlt hätte. Als die anderen Diener das sahen, waren sie empört. Sie gingen zum König und erzählten ihm, was vorgefallen war. Da ließ der König den Mann rufen, dem er zuvor seine Schulden erlassen hatte, und sagte zu ihm: `Du herzloser Diener! Ich habe dir deine großen Schulden erlassen, weil du mich darum gebeten hast. Müsstest du da nicht auch mit diesem Diener Mitleid haben, so wie ich Mitleid mit dir hatte?´ Der König war so zornig, dass er den Mann ins Gefängnis werfen ließ, bis er seine Schulden bis auf den letzten Pfennig bezahlt hatte. Genauso wird mein Vater im Himmel mit euch verfahren, wenn ihr euch weigert, euren Brüdern und Schwestern zu vergeben.«
Ein Gott, der vergibt, wenn wir vergeben. Im Vaterunser beten wir: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und gleich nach dem Gebet sagt Jesus: “Wenn ihr denen vergebt, die euch Böses angetan haben, wird euer himmlischer Vater euch auch vergeben. Wenn ihr euch aber weigert, anderen zu vergeben, wird euer Vater euch auch nicht vergeben.
Wenn wir den Sinn der Vergebung verstehen, werden wir dankbar Gott gegenüber, wir werden barmherziger mit anderen und wir werden ehrlich mit uns selbst werden.
Zum ersten Punkt: Vergebung macht dankbar
In Psalm 130, 3-4 lesen wir: “Herr, wenn du unsere Sünde anrechnen würdest, wer könnte da bestehen? Doch du schenkst uns Vergebung, damit wir lernen, dich zu fürchten.”
Wenn ich über meinen Tag und meine Woche nachdenke, sehe ich viel Sünde. Hier etwas Falsches gesagt, dort nicht freundlich gewesen. Gestern mich nicht unterordnet und viel zu nervös zu den Kindern gewesen. Dort die Wahrheit nicht ganz gesagt und über jemanden negativ gesprochen. Wenn Gott das alles aufschreiben würden, könnte ich nicht vor ihm bestehen. Und so ging es auch dem Diener, als der König die Abrechnung machte. Es hatte sich soviel angehäuft, dass er, seine Familie und alles Hab und Gut verkauft werden sollte, um die Schulden zu bezahlen. Er konnte nicht bestehen bleiben. Was dann geschieht, beschreibt auch Psalm 103, 8 – 12: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und voll großer Gnade. Er wird uns nicht für immer Vorwürfe machen und nicht ewig zornig sein. Er bestraft uns nicht für unsere Sünden und behandelt uns nicht, wie wir es verdienen. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so groß ist seine Gnade gegenüber denen, die ihn fürchten. So fern der Osten vom Westen ist, hat er unsere Verfehlungen von uns entfernt.
Ein barmherziger und gnädiger Gott, der die Sünde aus unserem Leben nimmt und sie ganz weit weg legt. Bis zur Sonne sind wir umgeben von der Gnade Gottes. Wir können nur vor Gott bestehen, weil er uns vergeben hat.
Stimmt mich das dankbar? Wenn ich daran denke, wieviel Gott mir schon vergeben hat und das jeden Tag aufs Neue, kann ich da nicht jubeln vor Freude und Dankbarkeit?
Als Jesus bei Zachäus zu Gast war, war dieser Zöllner so dankbar, dass er die Hälfte seines Reichtums den Armen geben wollte und Menschen, denen er beim Steuer zahlen betrogen hatte, wollte er es vierfach zurückgeben. Das war Freude und Dankbarkeit pur.
Der Diener in der Geschichte wird wahrscheinlich sehr froh und erleichtert gewesen sein, dass noch einmal alles gut gegangen war. Er war frei. Ohne Schulden. Ob er dankbar war? Als er jemanden sah, der ihm eine kleine Summe schuldete und um Gnade bat, hatte er kein Mitleid und liess ihn ins Gefängnis bringen.
Leider bin ich immer wieder wie dieser Diener. Ich erlebe Vergebung, bin aber nicht bereit, andere zu vergeben. Ich halte sie fest. Ich halte das, was sie mir angetan haben, fest.
Vergebung sollte uns zu einem Zachäus machen. Aus lauter Dankbarkeit könnten wir sagen: Gott, ich vergebe jeden, der mir Unrecht getan hat und ich bitte dich darum, dass du diese Personen auch vergibst und dass du sie segnest.
Und das ist der zweite Punkt: Vergebung macht uns anderen gegenüber barmherziger.
Wenn mir bewusst wird, wie oft ich sündige und wieviel Gott mir vergeben hat und immer noch vergibt, werde ich barmherziger mit anderen. Barmherzig bedeutet: mitfühlend sein, Verständnis für die Not anderer zeigen. Verständnis zeigen, wenn der andere mal einen schlechten Tag hat und sich nicht von der besten Seite zeigt. Warum? Weil es mir auch immer wieder mal passiert.
Barmherzig sein und vergeben, wenn der andere schlecht über mich redet. Warum? Wie oft habe ich schlecht über andere geredet, stimmt? Und Gott hat mir vergeben. Sollte ich dieser Person dann nicht auch vergeben?
Barmherzig und vergebend sein, wenn andere Fehler machen, weil ich auch oft Fehler mache.
Barmherzig und vergebend, wenn jemand nicht gleich etwas versteht (z.B. meine Kinder), denn wie lange brauche ich, bis ich etwas Neues gelernt habe.
Wenn ich barmherzig bin und vergebe, bedeutet das nicht, dass ich das, was Geschehen ist, gutheisse. Wenn jemand schlecht über mich spricht und ich ihr vergebe, heisst das nicht, dass es gut oder richtig war, was die andere Person über mich gesagt habe. Ich habe mich entschieden zu vergeben, weil Gott mir auch vergeben hat.
Es bedeutet auch nicht, dass ich so tun muss, als sei ich nicht verletzt. Jemand hat mich mit bösen Worten beleidigt. Ich fühle den Schmerz, auch wenn ich diese Person zu vergeben.
Vergeben bedeutet für mich, darüber im Klaren zu sein, was geschehen ist und trotzdem zu vergeben. Ich treffe mit der Vergebung die Entscheidung, dass Unrecht nicht anzurechnen, die Person nicht zu strafen und nicht darüber zu reden. Stellen wir uns vor, unsere Nachbarin hat ein falsches Gerede über uns verbreitet. Wir entschliessen uns, ihr zu vergeben – denn wir wissen, wie oft wir schon mitgeredet haben. Es schmerzt, was sie über mich gesagt hat und ich vergebe trotzdem. Ich werde es nicht anrechnen. Ich gebe es bei Gott ab. Dann entschliesse ich mich, diese Nachbarin nicht zu strafen, indem ich etwas negatives über sie erzähle oder sie nicht mehr grüsse. Im Gegenteil, ich bin genauso freundlich wie immer. Und, ich erzähle es auch nicht weiter, was diese Nachbarin mir angetan hat. Ich habe vergeben und es ist bei Gott. Wenn ich den Mut habe, bitte ich noch um Gottes Segen für die Nachbarin.
Zu dieser Vergebung fordert Paulus die Epheser und Kolosser auf. In Epheser 4, 31-32 heisst es: Befreit euch von Bitterkeit und Wut, von Ärger, harten Worten und übler Nachrede sowie jeder Art von Bosheit. Seid stattdessen freundlich und mitfühlend zueinander und vergebt euch gegenseitig, wie auch Gott euch durch Christus vergeben hat. Und in Kolosser 3, 13: Seid nachsichtig mit den Fehlern der anderen und vergebt denen, die euch gekränkt haben. Vergesst nicht, dass der Herr euch vergeben hat und dass ihr deshalb auch anderen vergeben müsst.
Mit diesem “vergesst nicht, dass der Herr euch vergeben hat” sind wir beim dritten Punkt: wenn wir vergeben, werden wir uns selbst gegenüber wahrhaftiger. Wenn ich vergebe, werde ich ehrlicher mit mir selber. Wenn ich meine Nachbarin vergebe, merke ich, wie oft ich lieblos und falsch gehandelt habe. Wenn ich meine Eltern vergebe, weil ihr Verhalten mich verletzt hat, erkenne ich, wie verletzend mein Verhalten zu meinen Kindern ist. Wenn ich meine Freundin vergebe, merke ich, dass ich ihr auch nicht immer eine gute Freundin bin. Vergebung lässt mich in den Spiegel schauen und was ich sehe, ist nicht sauber und perfekt. Ich mache genauso so viele Fehler wie die anderen, ich rede negative über andere, ich verletze mit meinen Worten und mein Verhalten. Ich bin lieblos und manchmal zu faul, um etwas Gutes zu tun. Kein Wunder, dass Jesus zu den Leuten, die die Ehebrecherin steinigen wollten, sagte: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Als Jesus anfing in den Sand zu schreiben, sahen sie, wieviel Sünde in ihrem eigenen Leben war.
“Der Sinn der Vergebung liegt darin, dass wir Gott gegenüber dankbarer, anderen gegenüber barmherziger und uns selbst gegenüber wahrhaftiger werden,” sagt Hans-Joachim Eckstein.
Gott hat uns vergeben, das macht uns dankbar. Diese Dankbarkeit macht uns barmherziger mit den Menschen um mich herum. Und wir werden dadurch ehrlicher mit uns selbst. So können wir von ganzem Herzen beten: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.